AM-Ortho

Zielstellung des Projektes

Die patientenindividuelle Geometrie von Orthesen (Therapie-Hilfsmittel zur Stabilisierung / Ruhigstellung / Lagekorrektur von Gelenken) wird momentan schon oftmals auf der Basis von 3D-Scandaten sichergestellt. Daraus resultierende digitale Körperteil-Modelle bieten den Vorteil, dass Orthesen vom Arzt oder Orthopädie-techniker fachgerecht nach Therapiesituation und -zielstellung angepasst und optimiert werden können, bevor sie dann aktuell über die spanende Fertigung einer Positivform und anschließende thermische Verformung von Kunststoff-Rohlingen und händische Nachbearbeitung gefertigt werden. Diese Prozesskette ist limitiert durch die konstante Wandstärke des Materials und hinsichtlich der erreichbaren Formgestaltung und weist weitere wirtschaftliche und ökologische Nachteile auf. Moderne additive Fertigungsverfahren (AM, SEAM) bieten enormes Optimierungspotential für Qualität und Funktionalität (Gestaltungsoptionen für besseren Therapieerfolg, minimiertes Erzeugnisgewicht, optimierte Formgestaltung, höhere Patienten-Compliance, Sensor-Integrationsoptionen), allerdings sind die meisten verfügbaren AM-Technologien, speziell für große Orthesen, zu langsam oder aufgrund von Finishing-Aufwänden, Beschränkungen der Schichtaufbaurichtung oder der Material-Optionen hier noch nicht wirtschaftlich. Mit dem geplanten Vorhaben sollen diese Beschränkungen mit Hilfe einer durchgehenden digitalen Prozesskette und eines neuen hochflexiblen 3D-Druckverfahrens überwunden werden.
Patientenindividuelle Orthesen werden in Deutschland vor allem in KMU hergestellt, von diesen angepasst und vertrieben (Orthopädietechnik, Einzel- und Gemeinschaftspraxen, Sanitätshäuser, Pflege- und Reha-Einrichtungen). Mit den Ergebnissen des Projekts können diese Betriebe auf der Grundlage höherer Erzeugnis-qualität und –funktionalität nicht nur Wettbewerbsvorteile erreichen, sondern auch zu verbesserten Therapien beitragen sowie Kundenakzeptanz und –bindung steigern.

Projektergebnisse

Wichtiger Erfolg der Arbeiten im Projekt AM-Ortho ist die Befähigung eines am Fraunhofer IWU entwickelten SEAMHex Hochleistungs-Extrusions-Druckers für die Fertigung medizinischer Orthesen sowie die Untersuchung einer vollständig digitalen Prozesskette für die Modellierung von Skoliose-Korsetten. Im Projekt umgesetzt wurde die maschinenseitige Qualifizierung des SEAMHex Druckers für etablierte medizinisch erprobte Materialien (PolyPropylen PP) sowie die produktspezifische Planung der Fertigungsparameter (Ausbringgeschwindigkeit, Baustrategie bzw. Bahnplanung). Besondere Herausforderungen ergaben sich aus der komplexen Geometrie von Orthesen mit vielschichtigen Freiformflächen, Überhängen (>45°) und Aussparungen, welche schrittweise im Projekt gelöst werden konnten. Für ein klinisch relevantes Korsettmodell eines medizinischen Partners (Koob Scolitech GmbH) konnte beispielhaft eine erfolgreiche Baustrategie mit dem Werkstoff PP und überzeugenden Fertigungszeiten von weniger als 3h realisiert werden. Im Laufe des Projektes konnten aufgrund der optimierten Baustrategie und optimierter Prozess-Parameter mehr und mehr Features (größere Aussparungen, Überhänge >45°) in den Druckprozess integriert werden. Damit leistet das Projekt AM-Ortho einen wertvollen Beitrag hin zu einer additiven In-Time-Fertigung und geht deutlich über den aktuellen Stand der Technik, welcher mit herkömmlichen Schmelzschicht Verfahren erreicht wird, hinaus.

Neben der effizienten additiven Fertigung konnte eine vollständig digitale Prozesskette im Projekt erfolgreich untersucht und implementiert werden. Die erarbeiteten Software-Werkzeuge erlauben anhand eines 3D-Scans des Patienten eine nahtlose 3D-Modellierung von Orthesen bis hin zu einem geschlossenen (wasserdichten) exportierbaren Volumenmodell und variabler Wandstärke (STL / OBJ). Die GUI-Steuerung für die Erstellung der Berandungskurven (Splinefunktionen) ist dabei über eine intuitive Maus-Klick-Interaktion, welche mit dem klinischen Partner abgestimmt wurde, zu bewerkstelligen. Darüber hinaus wird die Integration von erweiterten parametrisch steuerbaren Funktionselementen wie Atmungsmuster, Verschluss-Öffnungen, Schriftzüge oder die gezielte lokal beschränkte Variation von Wandstärken (Verstärkung, Verjüngung) in dafür vorgesehenen Funktionsbereichen (Randzonen) ermöglicht. Zusammen genommen erlauben die entwickelten Software-Werkzeuge die vollständig digitale Planung und Fertigungsvorbereitung funktionserweiterter Orthesen in einer intuitiv zu bedienenden Nutzeroberfläche mit weitestgehend parametrischen oder automatischen Gestaltungsoptionen.